Leitlinien zur Behandlung
von Essstörungen

Der Bundesfachverband Essstörungen führte eine Untersuchung zur Qualitätssicherung von Beratungs - und ambulanten Behandlungsangeboten von Essstörungen in seinen Mitgliedseinrichtungen durch.

Aus den Ergebnissen dieser vom Bundesfamilienministerium finanzierten Studie zur Qualitätssicherung wurden die folgenden Leitlinien für die Beratung und ambulante Behandlung von Essstörungen  abgeleitet.

(Lit.: Reich/Witte-Lakemann/Kilius: „Qualitätssicherung in Beratung und ambulanter Therapie von Frauen und Mädchen mit Essstörungen“, V&R unipress; Göttingen 2005)  

 
 

Leitlinien für die Beratung und ambulante Therapie von Essstörungen

  1. Essstörungen sind schwer wiegende psychosomatische Erkrankungen, die in der Regel Frauen betreffen. In einer Reihe von Fällen entwickeln sie einen suchtartigen Charakter. Sie entstehen aus dem Zusammenwirken mehrerer Ursachen. Hierzu gehören soziale, biologisch-genetische, familiäre und Persönlichkeits-Faktoren, deren Beteiligung jeweils individuell abgeschätzt werden muss.
  2. Essstörungen sind häufig von anderen seelischen Beschwerden begleitet. Wenn sie nicht rechtzeitig angemessen behandelt werden, führen sie zu dauerhaften, erheblichen körperlichen, seelischen und sozialen Schädigungen, die in Todesfälle durch die körperlichen Beeinträchtigungen oder durch Suizid münden können.
  3. Da von Essstörungen hauptsächlich Frauen betroffen werden, müssen die spezifischen weiblichen Entwicklungsbedingungen bei der Betrachtung von Essstörungen in besonderem Maße berücksichtigt werden. Hierzu gehören die besonderen, oft widersprüchlichen Rollenanforderungen an Frauen, das Schönheits- bzw. Schlankheitsideal sowie die Besonderheiten der körperlichen und seelischen Entwicklung von Frauen.
  4. Da Essstörungen sehr stark mit Selbstwert- und Autonomiekonflikten verbunden sind, begeben sich viele Betroffene aus Gründen der Scham oder der fehlgeleiteten Selbstbehauptung nicht von selbst bzw. nicht rechtzeitig in Beratung oder Behandlung. Insbesondere die nicht augenfälligen Essstörungen, vor allem die Bulimie, bleiben so häufig lange Zeit unbehandelt oder eine angemessene Behandlung wird zu spät aufgenommen. Die Behandlung von Essstörungen erfordert zudem häufig mehrere und unterschiedliche Anläufe, bis es zu einer hilfreichen beraterischen und therapeutischen Interaktion kommt.
  5. Die Beratung und Behandlung von Essstörungen muss den zugrunde liegenden multiplen Ursachen Rechnung tragen. Sie muss insbesondere die spezifischen weiblichen Sozialisationsbedingungen und die vielfach vorhandene Abwehr gegen eine fachgerechte Behandlung aus Autonomie- und Schamkonflikten heraus berücksichtigen. Von daher ist ein beraterisches und therapeutisches Vorgehen notwendig, das das essstörungsspezifische Verhalten und Erleben, die häufig vorhandene körperliche Gefährdung und die Eigendynamik der Störung berücksichtigt. Hierzu ist eine spezifische Fachkompetenz im Umgang mit Essstörungen in allen Abschnitten des professionellen Helfersystems und eine enge Kooperation zwischen Beratern bzw. Psychotherapeuten, Ärzten und stationären Einrichtungen geboten.
  6. In der professionellen Versorgungskette bei Essstörungen ist Beratung häufig der erste und entscheidende Abschnitt, in dem wesentliche weitere Weichenstellungen getroffen werden, die für den gesamten weiteren Verlauf der Erkrankung entscheidend sein können. In dem Versorgungssystem für Essstörungen spielt Beratung eine eigenständige und wesentliche Rolle. Beratung hat eine aufklärende, unterstützende, die Selbstverantwortung fördernde und vermittelnde Funktion. Beratungsleistungen müssen kurzfristig und niedrigschwellig erreichbar sein. Das heißt auch, das Beratungsangebote für Betroffene lokal erreichbar sein müssen. Zudem sind Beratungsangebote für Essstörungen als solche gesondert auszuweisen, damit sie von Betroffenen und Angehörigen auch erkannt und gezielt wahrgenommen werden können.
  7. In Beratungen wird über Essstörungen und deren Behandlung informiert, es werden Art und Schwere der Essstörung abgeklärt, Betroffenen und Angehörigen Hilfestellung beim Umgang mit der Störung gegeben, und es wird gezielt in weitere stationäre oder ambulante Behandlung vermittelt.
  8. Die Ambivalenz der Betroffenen bezüglich des Umgangs mit der Behandlung ihrer Essstörung kann durch Beratung aufgefangen und bearbeitet werden. Der offene Ansatz der Beratung soll es ermöglichen, diesen Klärungsprozess mehrfach aufnehmen zu können. Essstörungsspezifische Beratungskompetenz wird auch von Betroffenen mit chronifizierten Essstörungen und vorhergehenden ambulanten oder stationären Behandlungsversuchen gesucht, die die spezifischen Kenntnisse der jeweiligen Einrichtung für sich nutzen.
  9. Insbesondere wegen der Vorbehalte vieler Betroffener gegen Beratung und Psychotherapie sind niedrigschwellige Beratungsangebote notwendig, die auch anonym als Telefon- oder Internetberatungen genutzt werden können. Es hat sich gezeigt, dass auch diese niedrig schwelligen spezifischen Beratungsangebote von Betroffenen mit chronifizierten Essstörungen gesucht werden.
  10. Niedrigschwellige Beratungsangebote für Frauen und Mädchen mit Essstörungen sind regional als eigenständige Facheinrichtungen oder im Rahmen anderer Beratungseinrichtungen zu etablieren. Der Essstörungsbereich sollte in jedem Fall gesondert und spezifisch gekennzeichnet sein, damit Betroffene und Angehörige auf ihn zurückgreifen können.
  11. Damit auch niedrigschwellige und kürzere Beratungsangebote hilfreich sein können, müssen die Beraterinnen über eingehende Kenntnisse der verschiedenen Formen der Essstörung, ihre möglichen Ursachen und Konsequenzen und über Kooperationspartner im ambulanten, ärztlichen und psychotherapeutischen sowie im stationären Bereich verfügen. Auch für kürzere Beratungsprozesse sind neben dem Wissen über psychosoziale Zusammenhänge grundlegende Kenntnisse über Ernährung und Ernährungsnotwendigkeiten erforderlich. Auch in kürzere Beratungsprozessen sollte eine Ernährungsberatung der Klientin und eventuell auch der Angehörigen integriert werden können.
  12. In der längerfristigen Beratung und Therapie muss dem spezifischen Charakter der Störung und der hierbei regelhaft vorhandenen Störung der Körperwahrnehmung Rechnung getragen werden.
  13. Bei jüngeren Patientinnen sind die Angehörigen in die Behandlung mit einzubeziehen, z. B. durch Familientherapie oder Angehörigen-Gruppen. Gruppentherapien tragen ebenfalls erheblich zur Verbesserung der Essstörungs- und sonstigen seelischen Symptomatik der Patientinnen bei.     
  14. Insgesamt erfordert die Beratung und Behandlung von Essstörungen eine Vernetz-ung von Beratungs-  und Therapieeinrichtungen in einer Versorgungskette, die Verfügbarkeit über mehrere Zugänge zur Problemlage der Betroffenen und ihrer Angehörigen, sowie eine enge Kooperation mit Ärzten, niedergelassenen Psychotherapeuten und stationären Einrichtungen. 

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